Kommentar

Die Lesung – eine (un)mögliche Aufgabe

Ich war gestern auf einer Lesung. Hier bei uns um die Ecke in der Buchhandlung Bräunling. Eine Woche vorher hatte ich die Autorin genau dort auch kennengelernt. Zufällig ist sie nämlich auch meine Buchhändlerin. Bei einer Lesung weiß man nie, was einen erwartet, wenn man die Autorin/den Autor nicht kennt. Aber diesmal hatte ich Glück. Tanja Frei, die als Joyce Winter schreibt, hat aus dem zweiten Teil ihrer Dreamkeeper-Reihe vorgelesen und war hervorragend. Der Text war flüssig vorgetragen, kein „Ähhh“, keine weitschweifigen Erklärungen, ohne die man die Textstelle nicht verstehen würde, kein monotones herunterleiern. Danach hat sie noch sehr sympathisch aus ihrem Leben als Autorin erzählt und ihr Vater hat zum Schluss noch lustige Anekdoten beigesteuert. Alles in allem also eine sehr gute Lesung. Doch da ist sie die Ausnahme.

Als Bloggerin war ich jetzt schon auf einigen Lesungen. Bei vielen hatte ich hinterher das Gefühl, dass mir die Ohren bluten. Oder ich bin mittendrin schon vor Langeweile abgedriftet. Einmal wäre ich am liebsten vorgesprungen, hätte die Autorin geschüttelt und gerufen: „Jetzt entscheide dich doch endlich wie die Protagonistin heißt! Hast du den Text eigentlich schon mal gelesen?“

Ich habe auch schon erlebt, dass der Autor mitten im Lesen unterbrochen hat und mit einer sehr weitschweifenden Erklärung angefangen hat, ohne die das Publikum nicht mitgekommen wäre. Wieso kann man sich dann keine Szene in einem Roman aussuchen, die ohne Erklärungen auskommt? Eine am Anfang würde sich anbieten. Aber bitte keine, in der die Heldin nur Wäsche zusammenlegt. Auch das ist schon wirklich passiert. Das wäre dann für mich als Leserin nur ein Argument, den Roman NICHT zu kaufen.

Auf der Leipziger Buchmesse bin ich schon bei Lesungen gestanden, bei der die Leute mit was ganz anderem beschäftigt waren. Zum Beispiel mit ihrer Brotzeit. Oder einer Zeitschrift. Oder einem ganz anderen Buch. Das lag dann daran, dass der Autor monoton und sehr leise vorgelesen hat, ohne auch nur einmal ins Publikum zu schauen. Wer hat denn da noch Lust zuzuhören?

Als ich gestern Abend mit der Autorin und Verlegerin Sarah Stano vom Verlag „Hummel und Sahne“ über schlechte Lesungen diskutiert habe, wollte sie von mir wissen, was denn eine gute Lesung ausmacht. Das ist relativ leicht zusammenzufassen: Als Leser möchte ich merken, dass der Autor seinen Text kennt. Ich will Atmosphäre, die durch die Stimme ausgedrückt wird. Ich möchte, dass der Vorleser sein Publikum miteinbezieht. Kurz: Ich will unterhalten werden. Autoren sollten jetzt nicht völlig überrascht sein und aus allen Wolken fallen, wenn sie das hören. Immerhin geht es doch auch darum, dass sie uns ein Produkt verkaufen, dass uns unterhält. Wenn das nicht der Fall ist, sollte man das Projekt vielleicht nicht verlegen und in der Schublade lassen.

Vorlesen ist nicht leicht. Als langjährige Vorleserin von Führbitten, weiß ich das aus Erfahrung. Gut, jetzt hat man bei einer Führbitte nur drei Minuten Zeit, um den Zuhörer zu fesseln und meistens durfte ich mir den Text nicht aussuchen, aber auch drei Minuten können für einen Zuhörer sehr lang sein. Deswegen: Üben. Das ist mein Aufruf an alle Autorinnen und Autoren. Wenn ihr vorhabt Lesungen zu veranstalten, übt eure Texte. Vorlesen ist kein Talent, dass einfach so vom Himmel fällt. Da kann man was tun. Für meine nächste Lesung wünsche ich mir eine Autorin oder einen Autor wie Tanja Frei. Jemand, der verstanden hat, worauf es ankommt. Auf Unterhaltung.

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